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Sensorbasierte Diagnosen in der modernen Medizin Christopher Gundler

(Quelle: Elnur/Shutterstock.com)

Wie bei kaum einer anderen Disziplin hat die apparative Diagnostik die medizinische Profession vorangebracht, indem sie Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, ihre menschlichen Sinne während einer Untersuchung zu unterstützen und zu objektivieren. Zusätzlich zu den berichteten Symptomen und der individuellen Patientengeschichte können dank moderner Messinstrumente viele Biomarker wie Körpertemperatur, Blutdruck, Lungenvolumen, identifizierte Entzündungen und Auffälligkeiten im Herzrhythmus für eine umfängliche Diagnostik herangezogen werden. Mit den aktuellen Fortschritten in der Sensortechnologie und der künstlichen Intelligenz ersetzen neuartige Paradigmen, Messmethoden und Interpretationsansätze zusehends die subjektiven Tests vergangener Tage. Darüber hinaus befeuern sie auch die Trends zu einer robusten Messdatenerhebung außerhalb medizinischer Einrichtungen und deren Kontextualisierung und Verknüpfung in der Forschung.

Objektive Tests und Diagnosen

Die Diagnose von Gehirnerschütterungen – eine nach Schätzungen allein in den USA jährlich mehr als 300.000 Athletinnen und Athleten betreffende Verletzung – verdeutlicht, wie objektive Tests die bestehenden subjektiven Einschätzungen verdrängen. Ein zentraler Indikator für die Diagnose und die Einschätzung des Schweregrads ist der Pupillenlichtreflex. Dabei beobachtet und interpretiert der Arzt oder die Ärztin nach Stimulation mit einer Lichtquelle die Kontraktion und Dilatation der Pupille als charakteristische Reaktion. Die mit dieser Vorgehensweise einhergehenden Probleme liegen auf der Hand: Verschiedene Medizinerinnen und Mediziner interpretieren eine subjektive Auffälligkeit individuell unterschiedlich und müssen zusätzlich die gewaltige Varianz zwischen den Patienten und den Messungen berücksichtigen.

Im Bestreben, diese manuellen pupillometrischen Untersuchungen zu ersetzen, werden daher zunehmend computergestützte Alternativen von verschiedenen Herstellern auf Basis einer Pipeline komplexer Technologie und Sensorik erprobt. Hochauflösende Kameras, die dank ihrer Miniaturisierung inzwischen in Smartphones oder Virtual-Reality-Headsets einbaubar sind, zeichnen die Augenbewegungen mitunter mit Hunderten Bildern in der Sekunde auf. Auf Echtzeitanalysen optimierte Verfahren der Computer Vision extrahieren Merkmale von Augenbestandteilen wie der Sklera, der Iris und der Pupille aus den Bildern. Die Nutzung des für Menschen nicht wahrnehmbaren Infrarotspektrums vereinfacht dabei diese Segmentierung. Komplexe mathematische Modelle übertragen diese Pixeldaten im Anschluss auf ein dreidimensionales Augenmodell, um daran Echtweltmaßeinheiten wie Millimeter herzuleiten. Schlussendlich entfernen Algorithmen des maschinellen Lernens das Rauschen aus den Daten, erkennen Muster in den Zeitreihen, stellen Bezüge zur geschätzten Verteilung der Parameter in der Gesamtpopulation her und präsentieren diese Ergebnisse.

Ein solches Verfahren ermöglicht somit akkurate Messungen durch ein Entfernen der subjektiven Komponente und überträgt der Ärztin oder dem Arzt die Verantwortung, die Plausibilität der Messung zu validieren, die Daten gemäß der vorliegenden Quellenlage zu interpretieren und die gewonnenen Erkenntnisse den Betroffenen zu kommunizieren. Eine solche Pipeline lässt sich auf spezielle Anwendungsfälle optimieren und ermöglicht im Endeffekt eine neuartige und objektive Diagnose, die ohne den Einsatz der Technik schwerlich möglich gewesen wäre. Als ein weiteres Beispiel sind auch moderne Wärmebildkameras zu nennen, die dank fortschrittlicher Rauschunterdrückung bereits zur Erkennung von Entzündungen und möglicherweise sogar Brustkrebs eingesetzt werden können. Anders als bei der klassischerweise angewandten Mammografie unter Einsatz von Röntgenstrahlen könnte eine solche Art der Untersuchung in frühen Stadien der Krankheit präziser sein und kommt sowohl ohne potenziell schädliche Strahlung wie auch jegliche Art von Berührung aus. Auch in Zeiten des massiven Einsatzes zur Fiebermessung im Kampf gegen Covid-19 eröffnen solche Technologien somit gewaltige Chancen für ein effizientes und präzises Testen in großem Maßstab.

Präzise Datenerfassung außerhalb der Arztpraxis

Die fortschreitende Miniaturisierung der Technik ermöglicht die Aufzeichnung medizinischer Parameter auch außerhalb medizinischer Einrichtungen mittels kleiner, tragbarer Medizinprodukte. So ist das Tragen eines Langzeit-EKGs für die Gewinnung alltagstypischer Daten außerhalb von Arztpraxen bereits heute gang und gäbe. Oftmals von der Größe einer kleinen Digitalkamera mit angeschlossenen Elektroden und einer Tragedauer meistens zwischen 24 und 48 Stunden sind diese Messinstrumente allerdings nach wie vor etwas hinderlich im Alltag und können typische Tätigkeiten einschränken. Gleichwohl eröffnen sie einzigartige und weitreichendere Möglichkeiten zur Untersuchung und Kontrolle des Herzkreislaufsystems.

An dieser Stelle beschleunigt die Miniaturisierung auch den medizinischen Fortschritt. Eine neue Generation optischer Sensoren in Armbändern oder Smartwatches verspricht deutlich mehr Komfort und noch realitätsnähere Daten. Deren Qualität mag zwar noch nicht an die elektrodenbasierten Alternativen heranreichen, gleichwohl erregte beispielsweise die Firma Apple über die Ärzteschaft hinweg Aufsehen, als die potenzielle Nutzung ihrer Smartwatch zur Erkennung einiger Arten von Herzrhythmusstörungen demonstriert wurde. Neben der Nutzung optischer Technologien zur Überwachung des Herzkreislaufsystems werden Sensoren inzwischen auch zur kompakten Aufzeichnung einer Vielzahl weiterer Körperfunktionen erprobt. So könnten moderne portable EEG-Headsets in Form von Schlafmasken dazu genutzt werden, statt einer Untersuchung in der fremdartigen Umgebung eines Schlaflabors im heimischen Schlafzimmer ein grobes Bild der Hirnaktivität zu gewinnen. Mit der steigenden Verfügbarkeit zertifizierter Open-Source-Sensoren ist die Entwicklung kleiner und doch leistungsfähiger medizinischer Technologien nicht länger allein die Domäne einiger großer Unternehmen.

 

Intelligente Verknüpfung von Befunden mit aktueller Forschung

Eine zentrale Herausforderung für Ärztinnen und Ärzte ist die optimale Diagnose und Behandlung der Patienten auf Basis der aktuellsten verfügbaren und gesicherten Datenlage, beispielsweise aus klinischen Versuchen, Studien, Datenbanken und ähnlichen Quellen. Auch wenn in den letzten Jahren dazu Anstrengungen unternommen wurden, so gibt es nach wie vor keine etablierte Standardisierung von medizinischem Wissen über alle medizinischen Fachrichtungen, Forschungseinrichtungen oder geografischen Regionen hinweg, welche ein einfaches Durchsuchen, Zugreifen und Nutzen der Daten erlaubt. Ein solches System würde dabei nicht allein den Medizinern zum Vorteil gereichen, sondern auch die medizinische Forschung allgemein erleichtern und die Grundlage für eine Interoperabilität medizinischer Informationssysteme darstellen.

Die dafür unabdingbaren (Teil-)Standards für eine Datenhaltung nach dem FAIR-Prinzip, die auffindbar (findable), zugreifbar (accessible), interoperabel und wiederverwertbar (reusable) ist, beginnen daher langsam in der Medizin Fuß zu fassen. So ist SNOMED CT beispielsweise ein Versuch, eine computerfreundliche „Lingua franca“ für medizinische Codes, Begriffe, Synonyme, Befunde, Symptome, Krankheiten, Behandlungen, Hilfsmittel und Ähnliches zu definieren. Ergänzend dazu kann beispielsweise LOINC genutzt werden, Biomarker als medizinische Beobachtungen bei Messungen systematisch zu erfassen.

Eine so gestaltete Erfassung vereinfacht nicht nur den ärztlichen Zugriff und die Nutzung der Daten im Sinne einer digitalen Patientenakte, sondern ermöglicht sogar Einblicke über Datensatzgrenzen hinweg. Projekte wie NFDI4Health definieren eine empirische Dateninfrastruktur, die forschungseinrichtungsübergreifenden Zugriff auf Gesundheitsdaten und Biomarker erlaubt und im Endeffekt beispielsweise „Big Data“-Analysen mittels Algorithmen des maschinellen Lernens ermöglicht.

Fazit

Neben der Anamnese ist eine fundierte ärztliche Diagnose oftmals entscheidend von den Möglichkeiten der Medizinerinnen und Mediziner geprägt, die genutzten Sinne durch technische Hilfsmittel zu unterstützen. Nur durch Messinstrumente sind Größen präzise bestimmbar, Temperaturen akkurat messbar und Prozesse sowie Lebewesen sichtbar, die mit dem bloßen Auge nicht wahrgenommen werden können. In diesem Sinne revolutionieren medizinische Sensoren und künstliche Intelligenz die apparative Diagnostik, indem sie objektive Daten liefern, die Beobachtung von Patienten in ihrem natürlichen Umfeld ermöglichen und die Integration dieses Wissens in die großen Zusammenhänge erlauben. Selbst bislang schwer diagnostizierbare Krankheiten und Auffälligkeiten, beispielsweise in der Psychiatrie, können auf ein neues, biomarkergestütztes Fundament gestellt werden.

 



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Christopher Gundler ist ein Kognitionswissenschaftler und Medizininformatiker. Er forscht hauptsächlich an der mathematischen Modellierung von Sensordaten für die Diagnose anderweitig schwierig feststellbarer Krankheiten. So verantwortet er momentan das maschinelle Lernen und die Computer Vision hinter eyeTrax, einem System zur objektiven Analyse leichter Gehirnerschütterungen.


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